SpeedX Unicorn – das Einhorn unter den smarten Rennrädern
|Ein Unicorn, zu deutsch ein Einhorn, ist erstmal ein Fabelwesen. Okay, die Tochter eines Freundes wäre da anderer Meinung, aber sie ist auch erst sechs Jahre alt. Sagen wir einfach, dass ein Einhorn ziemlich selten ist. Einhorn hat jedoch im Businessbezug eine weitere Bedeutung: Als Unicorn/Einhorn bezeichnet man gemeinhin ein Unternehmen, welches eine Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar inne hat und damit ziemlich wertvoll ist. Ja, es gibt noch Dedacorns (10 Milliarden) und Hectocorns (100 Milliarden), aber bleiben wir beim Einhorn.
Das technologische Einhorn
Das SpeedX Unicorn ist ein solches Einhorn, dem Namen nach und im weiteren finanziellen Sinne. Erst einmal ist es das wohl eines der ersten smarten Rennräder der Welt, welches nicht nur durch Anbauteile „intelligent“ wird, sondern von vorn herein so ausgelegt wurde, dass es alle möglichen Daten abgreifen und liefern kann. Dafür nutzt das Unicorn einen Powermeter, der im Tretlager integriert ist und direkt mit einem ans Cockpit angeflanschten Fahrradcomputer kommuniziert. Der kann alles anzeigen, was das Rad aufzeichnet und ist zudem mit Ant+, Bluetooth und Wifi ausgestattet, so dass sich auch weitere Geräte connecten lassen. GPS ist an Bord, ebenso wie Steigungs- und Höhenmesser. Über Brustgurte etc. kann der Puls angezeigt werden und drahtlos lässt sich alles an eine eigene App übertragen, damit man sein Training immer im Auge hat. Das alles kommt in einem leichten Carbon-Rahmen daher, mit Di2 oder eTap-Schaltung, Scheibenbremsen und hochwertigeren Teilen, als man das von anderen Fahrrad-Start-ups gewohnt ist – die schlussendlich in China produzieren und zusammenbauen lassen.
Das finanzielle Einhorn
Und hier kommt die zweite Einhorn-Charakteristik ins Spiel. Das SpeedX Unicorn wurde am 3. Januar auf Kickstarter (einer Crowdfunding-Plattform) eingestellt – mit einem moderaten Finanzierungsziel von 50.000 Dollar. Jetzt kommt abgefahrene Einhorn-Scheiße: Die 50.000 Dollar waren nach sagen und schreibe 75 Minuten (!) erreicht. Das ist nicht mal die Länge eines Fußballspiels. In dieser kurzen Zeit hatten mindestens (wenn man von ca. 3.500 Dollar pro Rad ausgeht) 14 Menschen ordentlich Geld in die Hand genommen, um die Herstellung eines Fahrrads zu finanzieren, was sie noch nie gesehen, angefasst, geschweige denn gefahren waren.
Jetzt werden viele sagen: Ja klar, 14 Bekloppte findet man weltweit immer. Mittlerweile – knapp einen Monat später, unterstützen über 250 Menschen das junge Unternehmen dabei, ein smartes Rennrad zu bauen. Die eingesammelte Summe steht bei 918.000 Dollar und es sind noch 28 Tage, bis die Chance zu investieren abläuft. Clever gemacht haben es die SpeedX-Verantwortlichen auf jeden Fall. So findet sich auf der Kampagnen-Seite eine Liste von Features, die erst ab einer bestimmten Summe realisiert werden: ab 300.000 Finanzierungssumme gibt es interne Kabelführung, ab 500k sehr leichte Sitzklemmen (WTF?), ab 700.000 ein Rücklicht, welches unter dem Sitz eingebaut ist und ab einer Millionen Dollar Funding (Unterstützung) noch zwei weitere Farben neben schwarz.
Glück? Nein, eher Erfahrung.
Glück gehabt, könnte man meinen. Aber weit gefehlt. Und hier kommt Einhorn-Scheiße tonnenweise vom Himmel geregnet: Das Unicorn ist das zweite Rad der SpeedX-Schmiede.
Im März 2016 launchte das Team das ebenfalls smarte „Leopard“-Rennrad auf Kickstarter – schon damals mit einem 50.000 Dollar Finanzierungsziel. Und jetzt festhalten: Das Geld war knapp zwei Stunden – 120 Minuten – nach dem Einstellen auf Kickstarter eingesammelt. 100.000 Dollar in weniger als fünf Stunden. 700.000 nach vier Tagen. Zum Schluss der Kampagne hatte SpeedX über 2,3 Millionen US-Dollar von über 1.200 Unterstützern eingesammelt und war/ist damit das meist-gefundete Fahrradprojekt auf der Crowdfunding-Plattform.
Das Leopard ist deutlich unter dem Unicorn angesiedelt und kommt standardmäßig mit der normalen Shimano 105er um die Ecke (Unicorn = Di2 in der billigsten Variante), normalen Bremsen (Unicon = Disc) und hat auch sonst ein paar weniger Features. Ist aber immer noch ein nettes, smartes Rennrad und halt auch viel günstiger.
Bevor man jetzt jedoch das Sparschwein plündert und bei der Unicorn-Kampagne knapp 3.500 Dollar investiert, lohnt sich vielleicht ein Blick auf das Leopard, welches laut SpeedX-Kickstarter-Seite im Juli 2016 in die Massenproduktion gehen sollte.
Wie läuft die Auslieferung des ersten Smartbikes Leopard?
Um es mal nett auszudrücken: Die Unterstützer der Kampagne sind nicht so wirklich zufrieden mit dem Kundenservice, der Kommunikation sowie den Lieferzeiten. Anscheinend haben wohl einige hundert Menschen bereits ihr Leopard bekommen und posten auch schon fleißig Bilder in den sozialen Medien. Andere warten aber seit ziemlich langer Zeit auf ihr Rad bzw. haben es in einer falschen Größe, mit falschen Anbauteilen, defekt oder wie auch immer bekommen. Und SpeedX scheint massive Probleme zu haben, hinter all den Service-Fällen her zu kommen.
Besonders problematisch für viele Menschen, die ein paar tausend Euro investiert haben: Wieso versucht SpeedX ein weiteres Rad (um das es hier ja eigentlich geht) crowdfunden zu lassen, ohne dass alle Unterstützer der ersten Kampagne ihr Rad bekommen haben.
Warum man es trotzdem tut.
Ich bin großer Fan von Crowdfunding und habe selbst mal an einer Kampagne für einen smarten Lenker teilgenommen. Hier (wie auch bei der Kampagne, die ich unterstützt habe) offenbart sich das große Problem der Kampagnen, die so weit über ihr anvisiertes Ziel hinausschießen: Sie haben das Design, die Technologie und das Marketing im Griff. Vielleicht bekommen sie das Shipment aus China auch noch geregelt. Wenn es dann aber um das weitere Versenden und den Kundenservice geht, stehen sie vor einem großen Problem: Das kann man in den meisten Fällen nur mit Menschen lösen und davon haben kleine Unternehmen naturgemäß eher weniger. Dann häufen sich die Anfragen und man kommt nicht mehr hinterher. Dann bleibt nur zu hoffen, dass der Kunde sich durch sein smartes Bike, was irgendwann ankommt, über die lange Wartezeit hinweg trösten kann und sich nicht verarscht fühlt.
Aber in den Zeiten des Internets und „worldwide shipping“ findet sich immer wieder Menschen, die bereit sind, ein Risiko einzugehen, um einer der ersten zu sein, die etwas neues in den Händen halten dürfen. Ihr ganz persönliches Unicorn.